Das XX- und das XY-Geschlecht: Das andere Geschlecht in neuem Licht
Ein Interview mit Mary Noble, England Von Monique Weber
Im vergangenen September nahm ich in Holland an einem Seminar mit Mary
Noble über das XX- und das XY-Geschlecht teil. Das Seminar hatte vorher
bereits in England und den USA stattgefunden und danach hat Mary auch in Deutschland,
Dänemark und Italien mit Männern und Frauen gearbeitet, die sich für
ihre neuen Einsichten interessierten.
Für Mary Noble, eine der Gründerinnen des weltweiten Frauen-Netzwerks
“Feminenza” (siehe vorherige Topaz-Ausgaben), ist ein besseres Verständnis
der Geschlechter schon seit langem ein brennendes Anliegen. Während des
Seminars schaffte sie eine Atmosphäre, in der beide Geschlechter völlig
entspannt gemeinsam eine neue Zusammenarbeit erforschen konnten.
Zu Beginn wurde erläutert, dass im Mann wie auch in der Frau drei Ebenen
unterschieden werden können: männlich/weiblich, Mann/Frau, Herr/Dame.
Diese drei Ebenen wurden in spontanen kleinen Theaterstücken verlebendigt
und untersucht und dabei zeigte sich, dass sie sich in den Männern ganz
anders ausdrücken als in den Frauen. In Marys Seminar gelang eine Zusammenarbeit
von Männern und Frauen, wie ich sie selten erlebt habe und die mir sehr
geholfen hat, mit dem anderen Geschlecht besser umzugehen
In
deinen Seminaren sollen die besten Seiten beider Geschlechter entdeckt und gefördert
werden. Warum eigentlich?
Es gibt sehr viele neue Einsichten über unterschiedliche Ziele und Bedürfnisse
von Männern und Frauen und daraus resultierende Probleme. Es ist auch sehr
interessant, wie sich dies von Land zu Land unterscheidet; natürlich gibt
es auch viele Parallelen. Das erfahre ich in jedem Seminar wie eine Neu-Entdeckung
und mir wird klar, welche Schlüsselposition unser Geschlecht in unserem
Leben einnimmt. Die Leute sehnen sich nach einem besserem Verständnis und
erfahren eine solche Heilung, wenn das Thema neu und frisch angegangen wird,
ohne Vorurteile, Schuldzuweisungen oder vorgefertigte Meinungen, auf der einfachen
Grundlage, sich gegenseitig helfen zu wollen und zu respektieren.
Die Öffentlichkeit beschäftigt sich im Moment stärker mit
dem Thema Mann und Frau. So erscheinen viele Bücher zum Thema; ein größeres
Verständnis scheint zu entstehen. Was denkst du darüber?
Ich denke, das ist ein natürlicher Entwicklungsprozess, den wir da sehen.
Menschen akzeptieren einfach nicht mehr die Ansichten, die vor 20, 50 oder 100
Jahren herrschten: Das Verhältnis von Männern und Frauen ist ein entscheidender
Faktor in der Entwicklung einer Gesellschaft. Eine der zentralen Fragen heute
ist: Wie können Männer und Frauen gemeinsam eine bessere Zukunft bauen?
In den Sechzigern gab es die Frauenbewegung und es gab eine Zeit, in der behauptet
wurde, dass es gar keine Unterschiede zwischen Mann und Frau gebe. Ich denke,
dass Menschen jetzt akzeptieren können, dass es ganz fundamentale Unterschiede
gibt und dass niemand zu dem Standpunkt zurück will, dass das eine besser
ist und das andere schlechter. Es entsteht ein neuer Blickwinkel, der fragt,
warum es die Unterschiede gibt, was sie bedeuten und wie man sie nutzen kann.
Während meiner Reisen und Seminare bin ich mit einigen Dingen ziemlich
hart konfrontiert worden, die in der Beziehung zwischen Mann und Frau ernsthaft
aus dem Gleichgewicht geraten sind. In vielen Gesellschaften werden Frauen extrem
unterdrückt, sie werden ausgebeutet und ihnen wird Gewalt angetan. Die
Praxis, dass kleine Mädchen umgebracht werden, scheint im Moment eher um
sich zu greifen, weil in vielen Teilen der Welt die Geburt einer Tochter als
das größte Unglück angesehen wird, das einer Familie passieren
kann. Traurigerweise will ein Großteil der Menschheit selbst in unserem
21. Jahrhundert immer noch nicht erkennen, dass Männer und Frauen zwei
Ausdrucksformen Gottes hier auf unserem Planeten sind, beide wesentlich für
die Weiterentwicklung der Schöpfung. Natürlich leiden auch Männer
darunter - allein dadurch, dass durch ihre Ignoranz und Gewaltsamkeit ihre eigene
Menschlichkeit auf der Strecke bleibt.
Es entwickelt sich so auch keine Spiritualität, die Mann und Frau gemeinsam
leben können. Ich mache mir Sorgen, dass so viel unnötiger Schmerz
in der Welt existiert, der durch feststehende Denkmuster verursacht wird, in
denen die Geschlechter großgezogen werden und die die Art und Weise prägen,
wie sie sich erfahren und miteinander umgehen. Viele dieser Muster sind Hunderte
von Jahren alt und manche sind einfach dadurch entstanden, dass beide Geschlechter
sich unfähig fühlen, mit den massiven Änderungen umzugehen, die
derzeit in vielen Kulturen stattfinden. Männer in unserer westlichen Welt
haben zum Beispiel Schwierigkeiten, den Begriff Mann neu zu definieren, z.B.
im Hinblick auf Status oder ökonomische Situation einer Familie. Wenn wir
uns die Scheidungsstatistiken anschauen und sehen, dass mittlerweile jede zweite
Ehe wieder geschieden wird, müssen wir uns die Frage stellen, warum sich
die Sehnsucht, dass sich zwischen Mann und Frau etwas Gutes, Positives aufbaut,
nicht erfüllt. Was machen wir nicht richtig, was verstehen wir nicht? Wie
können wir Missverständnisse, Vorurteile u.ä. überwinden
um unser reiches Potential zu entfalten. Jemand hat einmal gesagt, dass der
Kampf zwischen den Geschlechtern einer der größten Kriege der Weltgeschichte
sei. Ich denke, es ist extrem wichtig, dass sich beide Geschlechter umdefinieren,
wenn die menschliche Rasse auf diesem Planeten überleben möchte.
In welche Richtung sollte Deiner Meinung nach in den nächsten Jahren
die Arbeit gehen?
Auf
jeden Fall braucht es Offenheit füreinander. Ich habe zu viele Menschen
getroffen, die aufgegeben haben, noch etwas zu verstehen. Frauen sagen dann:
“Männer verstehen mich nicht, das ist so, und ich habe noch nie einen
getroffen, der mich verstehen konnte.” Und die Männer: “Ich
kann einfach nicht verstehen, was Frauen wollen, anscheinend mache ich immer
alles falsch”. Deswegen denke ich, müssen wir uns öffnen dafür,
dass da noch Neues entdeckt werden kann, das zu einem besseren Verständnis
führt.
Damit kommen wir zur Feminenza-Arbeit mit den verschiedenen Ebenen in jedem
Geschlecht (vgl. frühere Topaz-Ausgaben). Die Beziehung zwischen männlichem
und dem weiblichem Leben sieht anders aus als die Beziehung zwischen dem Mann
und der Frau, und der Herr und die Dame bauen wieder ein anderes Verhältnis
zueinander auf. Wenn wir uns dieser verschiedenen Teile in uns bewusst werden,
können wir verstehen, wie sie mit den entsprechenden Teilen im anderen
Geschlecht kommunizieren. Hier öffnen sich völlig neue Einsichten
und Möglichkeiten. Zum Beispiel: Das “männliche Leben”
ist der Teil im Mann, der körperlich arbeitet, der rebelliert, impulsiv
ist, seine Freiheit braucht und nicht unterdrückt sein will. Der “Mann”
ist zu ernsten Beziehungen, zu einer Familie bereit und hat sein Leben im Griff.
Der höhere Teil, der “Herr”, sucht, wenn er sich denn entwickelt,
nach ganz anderen Dingen, in der Beziehung zum weiblichen Geschlecht z.B. gegenseitige
Achtung und Respekt, die es Ihm nicht erlauben, unkontrolliert zu handeln.
Je mehr diese verschiedenen Leben aktiv sind und verstanden werden, desto mehr
können sie untereinander im Dialog stehen. In den Seminaren beschäftigen
wir uns immer wieder mit diesen drei Leben oder Ebenen und diese Arbeit rückt
viele Dinge ins rechte Licht. Oft fragt man sich, warum man in einem Moment
jemanden umarmen möchte und kurz danach in Ruhe gelassen werden will und
seinen eigenen Raum braucht. Ganz einfach - verschiedene Leben haben verschiedene
Bedürfnisse. Wir müssen diese verschiedenen Ebenen kennen lernen und
verstehen, dann können wir sie respektieren, in uns und im anderen Geschlecht,
dann brauchen wir uns nicht schlecht oder unverstanden zu fühlen.
Hast Du eine Vision oder Ideen, wie die Zukunft zwischen Männern und
Frauen aussehen könnte?
Das ist eine schwierige Frage, weil der gegenwärtige Zustand uns alle
stark konditioniert. Meiner Meinung nach ist es sehr wichtig, den gegenwärtigen
Zustand ständig zu hinterfragen und niemals aufzuhören, an der Loslösung
von diesen Konditionierungen zu arbeiten. Ich glaube, wir haben noch nicht einmal
angefangen, die wahre Größe und Kraft, die in Männern und Frauen
steckt, zu begreifen.
Meine Vision ist, dass die Menschheit sich dahin entwickelt, dass weltweit
die Geburt eines Mädchens die gleiche Freude auslöst wie die Geburt
eines Jungen.
Bei Interesse an Workshops zum Thema wenden Sie sich bitte an Feminenza unter:
www.feminenza.de.
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