Vorlieben und Abneigungen
oder wie man sich entschuldigt, wenn man keine Verantwortung für seine
Taten übernehmen will
Von Rolf Christoffersen
Zumindest
die Mehrzahl der Männer unter uns kennt das Gefühl, gemeinsam mit
anderen die Siege und Triumphe der Fußballnationalmannschaft zu feiern.
Wir lieben das. Wir mögen es, wenn unsere Mannschaft die gegnerische schlägt,
und auf einmal sind verpatzte Pässe, verlorene Bälle, Freistöße
und andere Niederlagen, die das Team hinnehmen musste, vergeben und vergessen.
Doch wehe, wenn unsere Mannschaft verliert. Das haben wir nicht so gerne. Auf
einmal sind alle schlecht: die einzelnen Spieler, der Schiedsrichter, das Spielfeld,
der Trainer, der Gegner.
Vorliebe für eine Sache oder Abneigung führen Menschen wie nichts
anderes zusammen. Das erfahren wir jeden Tag, z.B. im Sport oder wenn wir uns
Fernsehberichte von den Brennpunkten des Weltgeschehens ansehen. Die Bilder
auf dem Bildschirm bestimmen, welche Meinungen wir bevorzugen und welche wir
ablehnen, wie wir alle das nach den Anschlägen auf New York und Washington
am 11. September erfahren haben. In diesem Artikel wollen wir uns genauer ansehen,
wo die Gefühle von Vorliebe und Abneigung eigentlich herkommen, nämlich
aus unserem eigenen Inneren.
Die meisten Menschen in der westlichen Welt gehen durchs Leben, ohne dass sie
wie die Menschen in New York und Amerika am 11. September 2001 lebensbedrohliche
Katastrophen am eigenen Leibe erfahren. Im Großen und Ganzen haben wir
Zugang zu allem, was wir benötigen, wir haben genug Nahrungsmittel, fließendes
Wasser, einen Fernsehfilm, wenn wir uns entspannen wollen, Berichterstattungen
rund um die Uhr, hin und wieder Urlaub, wenn wir allem entkommen wollen, wir
haben Kleidung, Telefon, Internet, Zugang zu fast allem, was wir benötigen.
Wir können jeden Tag Fisch essen, wenn wir Fisch mögen. Wir können
den blauen Pulli im Schrank lassen, wenn uns der rote besser gefällt. Wir
können uns die Unterhaltungssendungen aussuchen, die uns gefallen, und
andere Fernsehkanäle, die uns zur Verfügung stehen, einfach ignorieren.
Wir lesen die Zeitungen, die unsere Meinung teilen, und beachten die nicht,
deren Ansichten uns nicht zusagen. Und wir machen das die ganze Zeit. Wir legen
so jeden Tag in uns und in unseren Gesprächen mit anderen fest, was wir
mögen und womit wir nicht zufrieden sind und so auch, wer unsere Freunde
sind. Denn warum sollte jemand freiwillig seine Zeit mit Leuten verbringen,
die er nicht mag? So prägen unsere Vorlieben und Abneigungen unseren Lebensstil,
die Art und Weise, wie wir unser Leben so angenehm wie möglich verbringen
wollen.
Eine Wahrheit herrscht über die andere
Vorlieben und Abneigungen an sich sind nicht negativ zu bewerten oder als schlecht
oder in irgendeiner Weise als falsch abzuurteilen. Es ist natürlich, in
den meisten Bereichen unseres Lebens Vorlieben und Abneigungen zu empfinden,
zum Beispiel wenn wir Zeit mit anderen verbringen. Wir mögen den Gemeinschaftsgeist,
wir mögen es, mit jemandem unsere Erfahrungen, Gefühle und Gedanken
teilen zu können; die wenigsten Menschen lieben die Einsamkeit. Dieser
Artikel beschäftigt sich mit der Frage, was passiert, wenn Vorlieben und
Abneigungen Macht über alle Bereiche des menschlichen Lebens gewinnen.
Stellen Sie sich vor, Sie haben sich in der Wüste verirrt, haben kein
Wasser, sind am Verdursten und da kommt ein Mann und sagt: „Was hätten
Sie denn gerne?” Ihre Antwort wäre: „Wasser!” Dann sagt
er: „Ich habe jede Menge Wasser, aber nur in einem dreckigen Becher.”
Sie würden ohne einen Moment zu zögern antworten: „Das ist mir
egal. Ich brauche Wasser.” Solche extremen Beispiele verdeutlichen oft
einfache Wahrheiten, im vorliegenden Fall, dass unser Körper das bevorzugt,
was ihm Kraft und Energie gibt, um weiterzumachen. Unsere Abneigungen und Vorlieben
sind dagegen oft nur eine Sache des persönlichen Geschmacks. Wenn Sie mit
Grippe im Bett liegen, zwingt Sie der Körper dazu, denn er benötigt
Energie, um gegen das Virus anzukämpfen, und verlangt nach Ruhe und Entspannung.
Es kann durchaus sein, dass das Ihnen überhaupt nicht passt, weil Sie den
Tag schon mit vielen Dingen verplant haben, die Sie lieber gemacht hätten.
So erfahren wir, dass die Wahrheit unseres Körpers, der den Fortbestand
unseres Lebens sichern will, alles andere bestimmt; diese Wahrheit des Körpers
beherrscht machtvoll unser ganzes Leben mit seinen vielfältigen anderen
Vorlieben und Abneigungen.
Interessant ist, dass man, wenn man krank ist, oft Appetit auf etwas anderes
hat als auf das, was man normalerweise isst. Vielleicht benötigt der Körper
Vitamin C, um die Krankheit zu bekämpfen, und so produziert er einen überwältigenden
Appetit z.B. nach Orangen, die Vitamin C enthalten. Das zeigt uns unter anderem,
dass unsere Vorlieben und Abneigungen nicht immer zu dem passen, was nötig
ist oder wonach unser Körper verlangt und dass eine Situation vielleicht
verlangt, dass man darauf hört, was einem der Körper sagen will, anstatt
gleich seinen Das-mag-ich-das-mag-ich-nicht-Verhaltensmustern zu folgen. Um
sich in Selbstbeobachtung und Selbst-Bewusstsein zu üben, könnte man
vielleicht einmal darauf achten, wie oft man Sätze wie „Ich mag das
und das”, „Ich mag das hier, aber nicht das andere” usw. benutzt,
und z.B. einen Tag lang beobachten, wieweit man in Vorlieben und Abneigungen
denkt.
Die großen Vorlieben und Abneigungen beginnen immer im Kleinen
In den zahlreichen kleinen alltäglichen Vorlieben und Abneigungen liegt
die Brutstätte für größere Vorlieben und Abneigungen. Man
muss hier wieder einmal betonen, dass nichts falsch daran ist, ein Ding einem
anderen vorzuziehen, aber davon sein ganzes Leben bestimmen zu lassen kann gravierende
Folgen haben. Wenn man sich nur noch nach dem richtet, was man mag und was man
nicht mag, wenn das zur beherrschenden Gewohnheit wird, dann ist das, was harmlos
als Mögen und Nicht-Mögen angefangen hat, zu einem Kontrollsystem
geworden, das mehr oder weniger die Meinungen, Entscheidungen, Handlungen und
Wünsche des Menschen regiert. Die Geschichte zeugt davon. Die Verfolgung
der Juden im 2. Weltkrieg z.B. kündigte sich an, als viele im Volk sich
von einer großen Welle der Antipathie gegen Juden ergreifen ließen,
was dann schließlich im Holocaust endete. Oder in der Französischen
Revolution tobte sich eine tief verwurzelte Antipathie gegen den Adel so lange
aus, bis keine Köpfe mehr rollen konnten. Es sieht so aus, dass in unserer
heutigen Zeit Tragödien wie der 11. September oder der Völkermord
im ehemaligen Jugoslawien in der Berichterstattung der Medien der ganzen Welt
so präsentiert werden, dass Vorlieben und Abneigungen, Sympathien und Antipathien
extrem aufgeputscht werden. Solch massenhafte Vorlieben und Abneigung entstehen,
wenn Menschen nicht tiefer in sich hineinblicken oder hineinblicken können
und sich nicht befragen, was denn ihre persönliche Anschauung von einer
Sache ist und ihr persönliches Gefühl, und was eine bestimmte Situation
konkret verlangt. Wenn als Ersatz für solches persönliche Fragen die
schnellen und gängigen Urteile aufgenommen werden, wie sie sich in den
Berichten und Sendungen der Medien finden, können gefährliche kollektive
Vorlieben und Abneigungen allzu schnell um sich greifen.
Wie viel Energie verschwenden wir durch unsere Vorlieben und Abneigungen?
Wir haben heute einen einfacheren Zugang zu Informationen und Wissen als je
zuvor, wie z.B. die Möglichkeiten des Internets beweisen. Ein unglaubliche
Fülle von Angeboten erlaubt uns genau das zu wählen, was unserer Vorliebe
entspricht. Vor zwanzig Jahren hatte man die Wahl zwischen gesalzenen und ungesalzenen
Erdnüssen. Heute gibt es verschiedenartig geröstete, große und
kleine Erdnüsse, Erdnüsse mit Honig, Gewürzen, Käse, Essig
usw. - sogar Erdnüsse mit Bananengeschmack. Wir verfügen über
eine viel größere Bandbreite an Dingen, an denen sich unsere Vorlieben
austoben, und es gibt viel mehr Dinge, bei denen unsere Abneigungen sich entfalten
können. Das führt dazu, dass unsere Vorlieben und Abneigungen einen
viel größeren Platz in unserem Leben einnehmen und uns viel mehr
beschäftigen. Die Frage ist: Auf wessen Kosten? Wie viel Energie wird hier
verschwendet? Energie, die darauf verwendet werden könnte herauszufinden,
was unserem Leben wirklich zuträglich und förderlich ist. Ist die
Auswahl zwischen zwanzig verschiedenen Erdnuss-Geschmacksrichtungen lebenswichtig?
Erdnussgeschmäcker gehören vielleicht nicht zu den allerwichtigsten
Dingen im Leben; der überlegte Umgang mit Vorlieben und Abneigungen dagegen
schon eher.
Wir mögen nur das, was wir kennen
Die folgenden Beispiele präsentieren Vorlieben und Abneigungen in unserem
Leben noch aus einem anderen Blickwinkel. Stellen Sie sich vor, Sie suchen in
einem Geschäft nach einem Pullover. Die Verkäuferin zeigt Ihnen vier
verschiedene: einen blauen, einen grünen, einen braunen und einen weißen.
Sie probieren sie alle an und entscheiden sich für den weißen, weil
sie ihn von den vier am liebsten mögen. Was aber, wenn der einzige Pullover,
für den sie sich wirklich entschieden hätten, der hellgraue mit dem
weißen Muster wäre? Den hat Ihnen aber niemand gezeigt. Sie wissen
gar nicht, dass es ihn gibt. Einmal im Leben wurden wir alle gefragt: „Was
willst du werden, wenn du einmal groß bist?” Um den Beruf zu finden,
der Ihnen wirklich zusagt, zeigte man Ihnen das Buch: „600 Berufe”.
Was aber, wenn der Beruf Nr. 601 genau der Beruf wäre, den Sie als Erwachsener
wirklich ausüben möchten?
All diese Beispiele zeigen, dass wir uns in zwei wichtigen Bereichen eingrenzen,
wenn wir uns unseren Vorlieben und Abneigungen überlassen. Da ist zuerst
einmal der Bereich unserer Selbstwahrnehmung: Wie gut kennen wir uns eigentlich?
Haben wir uns bemüht herauszufinden, was wir wirklich mögen? Wie viel
wissen wir von den unterschiedlichen kleinen Leben in uns, die vielleicht unterschiedliche
Dinge mögen? Wenn unser Instinkt den blauen Pullover braucht, wird er ihn
bevorzugen, während unser berufliches Karriere-Leben möglicherweise
den weißen Pullover lieber hätte. Wir könnten dementsprechend
unsere Vorlieben und Abneigungen prüfen, ob sie auf einen äußeren
oder inneren Einfluss zurückzuführen sind. Spielen unsere Erziehung
oder andere Umwelteinflüsse eine Rolle? Oder vielleicht das Alter, astrologische
Einflüsse, nationale Einflüsse, aktuelle Trends, Modezeitschriften
usw.?
Der zweite Bereich, in dem wir eingegrenzt sind, ist unser Wissen, welche Möglichkeiten
die Welt, in der wir leben, uns bietet. Es geht dabei weniger um die Frage,
was man konkret weiß, sondern darum, welches Wissen man sucht, welchem
Wissen man sich öffnen will. Die Person im Bekleidungsgeschäft weiß
zu wenig, um den Pullover zu finden, den ihre verborgeneren Lebensäußerungen
benötigen, und so kauft sie den, der ihr gerade im Moment gefällt,
den Karrierepullover. Ähnlich sieht es bei der Berufswahl aus: Die meisten
Heranwachsenden haben, verständlicherweise, nicht genügend Wissen
und Erfahrung, um begründet entscheiden zu können, welchen Beruf sie
später ausüben wollen.
Wir sind aufgefordert, so vernünftig und unabhängig zu sein, wie
es unserem Wesen entspricht
Die entscheidende Frage, die wir uns stellen sollten, ist also: Welchen Sinn
haben unsere Vorlieben und Abneigungen und welchen Einfluss auf unser Leben
wollen wir ihnen einräumen? In einer Zeit, in der Vorlieben und Abneigungen
eine so große Rolle im Weltgeschehen spielen, ist jeder Einzelne aufgefordert,
das unabhängige und vernünftige Wesen zu sein, das er eigentlich ist,
und so eine größere Verantwortung für die Gefühle und die
daraus folgenden Handlungen zu übernehmen, so dass er wirklich für
sie einstehen kann. Ein Anfang könnte sein zu klären, in welchen Lebensbereichen
die eigenen, nicht fremdgesteuerten Vorlieben und Abneigungen den Ton angeben
sollen und in welchen Bereichen die Vernunft das Sagen hat. Selbstverständlich
ist es der Entscheidung jedes Einzelnen überlassen, welche Bereiche er
für wichtig oder unwichtig hält, genauso wie er Vorlieben und Abneigungen
steuert.Plötzlich auftretende überwältigende Gefühle von
Vorliebe oder Abneigung sind oft ein Anzeichen für äußere Einflüsse,
die sich als persönliche Gefühle ausgeben. Es ist immer gut, solche
Gefühle noch einmal zu prüfen und sich zu fragen, ob es die Gefühle
sind, die man wirklich schätzt.
Bitte senden Sie Ihre persönliche Stellungnahme zu diesem Artikel an:
info@topazmagazin.de
top | TOPAZ Home | Template Netzwerk |