Grundmuster der sakralen Architektur
Die Geschichte der sakralen Architektur repräsentiert beeindruckend
und fortdauernd menschliche Entwicklung und zeigt, dass Menschen zu allen Zeiten
etwas schaffen wollen, das über das Gewöhnliche weit hinausragt. Ein
Bestreben sakraler Architektur war immer, dem Heiligen einen Raum zu schaffen,
der in Einklang und Harmonie mit höheren Grundmustern steht. Und so findet
man Hinweise in den Bauplänen der Sakralarchitektur, die auf größere
Zusammenhänge und tiefere Bedeutungen des menschlichen Lebens hinweisen.
Entsprechend versuchen viele Baupläne sakraler Gebäude die natürlichen
Gesetze, die jedes Lebewesen durchweben, widerzuspiegeln und erreichen dies
durch Formgebung, Symbolik, Proportionen, Ornamentik u.v.a.m. Ein mittelalterlicher
Sakralbau zum Beispiel folgt nicht einfach den persönlichen Ideen eines
Architekten, so wie es heute oft der Fall ist. Die Baumeister der großen
gotischen Kathedralen wie Chartres, Reims oder Notre-Dame respektierten und
verehrten die fundamentalen Naturgesetze, die unveränderlich sind. Sie
strebten danach, ihre Bauwerke in Übereinstimmung mit natürlichen
Ordnungen zu gestalten.
Die
Philosophie des Pythagoras, dass „alles nach Zahlen geordnet ist”,
wurde ein Prinzip der Architektur und nicht nur in der Renaissance zur Grundlage
der Theorien der Proportionen und der arithmetischen, geometrischen und harmonischen
Maße, die man auf alle Kunstformen anwenden wollte. Die Zahlen z.B., die
sich aus dem Satz des Pythagoras ergeben, nämlich 3, 4 und 5, bilden natürliche
Formen von wunderschöner Symmetrie und inspirierten die Grundrisse der
Renaissance-Architektur.
„Was ist Gott? Er ist Länge, Breite, Höhe und Tiefe”,
sagt der heilige Bernhard von Clairvaux
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Der goldene Schnitt findet sich in den Proportionen des
menschlichen Körpers. |
Viele Bauwerke wurden nach der heiligen Proportion 16:10 konstruiert, und die
Zahl p spielt immer wieder eine herausragende Rolle. Der goldene Schnitt wurde
als göttliches und heiliges Verhältnis betrachtet, das alle Formen
des Wachstums bestimmt. Selbst die heutigen Kreditkarten sind im Verhältnis
16:10 proportioniert. In der Fibonacci-Reihe, die nach dem italienischen Mathematiker
Fibonacci aus dem 13. Jahrhundert benannt worden ist, drückt sich dieses
grundlegende Wachstumsmuster wie folgt aus: 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34,
55, 89, 144, 233...
Diese Zahlenreihe ergibt sich durch einfache Addition der zwei jeweils letzten
Zahlen: z. B. 2 + 3 = 5, 5 + 8 = 13, und das proportionale Wachstum nähert
sich der Proportion des goldenen Schnitts an. Der römische Architekt Vitruvius
führte umfangreiche Studien über „heilige“ Proportionen
durch und kam zu der Erkenntnis, dass die Zahl 16 heilig sei, denn 6 und 10
seien die Grundlage aller Proportionen des menschlichen Körpers. Diese
Zahlen wurden zur Vorlage für die Proportionen vieler römischer Tempel.
Außerdem kann man im Symbol des Pentagramms dieses göttliche Wachstumsverhältnis
des goldenen Schnitts entdecken. Deshalb wurde die Gestalt des Menschen, die
ein Pentagramm ist, als ein signifikantes Symbol des Wachstums innerhalb eines
größeren Zusammenhangs angesehen.
Entsprechend ist die gleichzeitige Verwendung von Quadrat und Kreis ein grundlegendes
Prinzip vieler Architekturformen. Das heutige Denken hat sich von dieser Art
des Denkens, des Anlehnens an natürliche Grundmuster und Harmonien weit
entfernt. Daher erscheint vieles, was in der modernen Welt entworfen und geschaffen
wird, unserer eigenen natürlichen Grundstruktur sehr fremd. Mittlerweile
redet man sogar schon vom „sick-building-syndrome“, davon, dass
Gebäude die Menschen krank machen können. Wenn wir in unserem täglichen
Leben nach den Grundmustern suchen, die auch in der Natur zu finden sind, können
wir unsere Grundlagen und Rahmenbedingungen nach dem ausrichten, was bereits
existiert und von einem größeren Architekten, als wir es sind, geschaffen
worden ist.
von Trevor Muir, Architekt aus Nottingham, England
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Der goldene Schnitt bestimmt die Proportionen von Santa Maria
Novella in Florenz |
Die heiligen Nummern 5 und 7 in der Architektur der Kathedrale
von Chartres |
Heilige Geometrie im Tempel von Luxor,
Grafik von Schwaller de Lubicz |
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