Wissenschaft mit neuen Augen
Die heutige populäre Wissenschaft geht davon aus, dass alle
uns umgebenden Phänomene und Realitäten messbar sein müssen,
statistisch und mathematisch nachvollziehbar, durch mehr und mehr hochtechnisierte
Instrumente, was für einen Laien schon lange nicht mehr begreifbar ist.
Chris Gordon, Engländer und Doktor der theoretischen Physik, stellt die
Frage, ob das die richtige Voraussetzung ist, Wissenschaft zu betreiben? Wo
bleibt in diesem Rahmen der Mensch mit seiner eigenen Erfahrung der Wirklichkeit?
Ein Neuentwurf der Wissenschaft muss, so Dr. Chris Gordon, eines der hochsensibelsten
und vielfältigen „Instrumente" stärker mit einbeziehen: den Menschen
selbst.
Während Sie diesen Text zu lesen beginnen, nehmen Sie sich doch mal für
ein paar Momente die Zeit, sich dort, wo Sie sich gerade befinden, umzusehen.
Achten Sie einmal darauf, wieviele Dinge Sie sehen, die Produkte unserer modernen
Welt und technologischen Entwicklung sind. Wenn Sie gerade zu Hause sind, dann
sehen Sie jetzt vielleicht einen Fernseher, ein Radio, die Mikrowelle, eine
Brille, Lichtschalter und Steckdosen; Ihre Kleidung hat höchstwahrscheinlich
synthetische Anteile, auch die Wandfarbe sowie die Lacke sind chemisch synthetisch.
Heute morgen haben Sie vielleicht ein Aspirin genommen und Vitamintabletten;
das Wasser, mit dem Sie Ihren Kaffee kochen, ist, wenn es aus der Leitung kommt,
chemisch vorbehandelt. Eine vollständige Auflistung ist kaum möglich.
Viele dieser Produkte moderner Wissenschaft und Technologie tragen zu unserem
persönlichen Wohl bei und sind kaum noch wegdenkbar aus unserer Welt. Und
doch sind wir uns alle gleichzeitig im Klaren darüber, welche destruktiven
Auswirkungen Anwendungen der Wissenschaft haben können, sei es durch die
Entwicklung der verschiedensten Arten von Waffensystemen oder durch die zunehmende
Umweltverschmutzung, und man sehe sich auch die aktuell geäußerten
Bedenken bezüglich der Gen-Manipulation an.
Die moderne Naturwissenschaft
Viele Methoden der Erkenntnis moderner Naturwissenschaft basieren nicht auf
der unmittelbaren Wahrnehmung der menschlichen Sinne. Dies ist allgemein bekannt.
Zu Beginn der modernen Wissenschaftsgeschichte sind die Begriffe primäre
und sekundäre Qualitäten eingesetzt worden, um diesen Punkt
zu bekräftigen. Als primäre Qualität werden objektiv messbare
Eigenschaften definiert, wie zum Beispiel Länge, Breite, eine bestimmte
Zeitspanne, Temperatur etc.. Sekundäre Qualitäten sind unsere menschlichen
Reaktionen auf diese primären Eigenschaften; gemeint sind unsere Empfindungen
wie zum Beispiel Wärme oder Kälte, hell leuchtend oder trübe,
laut oder leise, wobei alle diese menschlichen Empfindunen ihrer Natur nach
als subjektiv bezeichnet werden. Moderne Wissenschaft will im Bereich der primären
Qualitäten tätig sein. Mit den Augen moderner Wissenschaft betrachtet,
werden primäre, also messbare Qualitäten als die wahre Realität
gesehen. Alle sekundären Qualitäten werden als die inneren Antworten
des Menschen auf diese primären Bedingungen gesehen und haben an sich keinen
Anspruch auf Objektivität.
Folgendes Beispiel kann diesen Kerngedanken der modernen Wissenschaft verdeutlichen:
Jeder kennt die Situation: Zwei Leute befinden sich im selben Raum, dem einen
ist es kalt und dem anderen ist es warm. Die Raumtemperatur ist auf dem Thermometer
ablesbar für beide diesselbe. Die gemessene Temperatur ist wissenschaftlich
gesehen eine primäre Qualität, die Empfindung „warm" oder „kalt"
ist jedoch subjektiv und ist deshalb vom wissenschaftlichen Standpunkt als sekundäre
Qualität zu sehen. Für die Person jedoch zählt das subjektive
Empfinden, und für sie ist die Tatsache irrelevant, gesagt zu bekommen,
dass die Temperatur objektiv 20 Grad beträgt.
Dieselbe Diskrepanz kann auftreten bezüglich der Helligkeit eines Raumes,
der Lautstärke von Musik, oder ob ein Gewicht als schwer oder leicht empfunden
wird. In jedem dieser Beispiele gibt es eine primäre Realität und
eine subjektive Erfahrung.Die Objektivität moderner Wissenschaft in diesem
Punkt gründet sich in der unpersönlichen Natur der primären Qualitäten.
Die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Qualitäten
ist einer der fundamentalen Grundgedanken moderner Wissenschaft, der sich aus
der wissenschaftlichen Revolution des 16. und 17. Jahrhunderts entwickelt hat.
Dies hat zu einer Wissenschaft geführt, die unsere Empfindungen und Wahrnehmungen
bezüglich unserer Umwelt nicht mehr berücksichtigt. Wie sieht also
die Welt der primären Qualitäten, d.h. die Welt moderner Wissenschaft
aus?
Stellen Sie sich einmal Folgendes bildlich vor: Sie haben ein Lineal, eine
Stoppuhr, eine Waage, ein Thermometer, ... außerdem vielleicht sogar ein
Mikroskop, um kleinste Details zu erkennen, ein Teleskop, um weit entfernte
Dinge zu beobachten. Versuchen Sie sich zusätzlich auch Werkzeuge vorzustellen,
mit denen Sie Dinge auseinanderbrechen können, um sie auf Ihre Bestandteile
hin zu untersuchen. Mit diesen Instrumenten können Sie dann alles messen,
untersuchen und der Reihe nach notieren. Ihre Gefühle spielen in diesem
Bild keine Rolle. Die Regel heißt messen, klassifizieren und Zuordnungen
finden.
Ihre Welt besteht nun aus einer sehr abstrakten Welt der Klassifizierung, Zahlen,
Zuordnungen und Formeln. Abstrakt deshalb, weil Ihre Messungen und späteren
theoretischen Probleme keine direkte Beziehung zu den Erfahrungen Ihrer Sinne
und Gefühle haben. Dies ist die Welt der primären Qualitäten,
eine Welt, eine Betrachtungsweise, die nur innerhalb der Grenzen Ihres eigenen
Bezugsrahmens sinnvoll und erfolgreich ist. Für einen Außenstehenden
oft eine unverständliche Welt, voll von Fachausdrücken und technischen
Konzepten, aber fern von den tagtäglich gesammelten Eindrücken und
Erfahrungen.
Was ich hier vermitteln möchte, ist, dass moderne Wissenschaft nur einen
sehr begrenzten Ausschnitt der Welt, in der wir leben, untersuchen und beschreiben
kann. Und doch wird immer wieder der Anspruch erhoben, dass der Bezugsrahmen
moderner Wissenschaft der einzig wahre ist und dass alle wahrnehmbaren Erscheinungen
innerhalb dieses Rahmens erklärt werden müssen. Dabei werden menschliche
Gefühle oder das Erfassen einer Situation ebenso wie tiefe Empfindungen
als höchst subjektive, sekundär auftretende Phänomene betrachtet,
die durch biochemische Interaktionen zwischen Körper, Gehirn und Nervensystem
zu erklären sind. Moderne Wissenschaft erhebt den Anspruch, dass Realität
das ist, was mit Instrumenten messbar ist, und nicht das, was wir als Menschen
mit unserem Körper und seinen innewohnenden Instrumenten messen können.
Eine direkte Frage an Sie, liebe Leser: Ist dies tatsächlich der Fall?
Welchen Stellenwert haben dann Ihre eigenen Erfahrungen? Sind unsere Empfindungen
wirklich nur pure Illusion, da Realität ja nur in der Welt der Wissenschaft
stattfindet?
Vision einer neuen Wissenschaft
Gönnen Sie sich an dieser Stelle eine kurze Pause. Halten Sie mal ganz
bewusst inne und lauschen den Geräuschen, die sie umgeben. Was hören
Sie?
Vielleicht Verkehrslärm oder eine Maschine? Stimmen von Menschen oder
Musikklänge? Vielleicht auch Vogelgezwitscher oder den Wind? Wie ist der
Geräuschpegel? Laut oder leise? Harmonisch oder disharmonisch? Schauen
Sie sich einmal um von Ihrem Sitzplatz aus. Welche Farben sehen Sie? Sind die
Farben „wärmend" oder „kühlend"? Wirken sie leicht oder
schwer? Werden Sie sich auch einmal Ihrer Körperhaltung und der Spannungsverhältnisse
in Ihrem Körper bewußt. Wie fühlen Sie sich? Angespannt oder
entspannt? Innerlich in Eile mit dem Gefühl, dass Sie „vorwärts kommen
müssen" - oder eher langsam, mit sich selbst in Frieden?
Jeder Mensch erfährt die Welt auf vielfältige Art und Weise. Denken
Sie für einen Moment an den Reichtum Ihrer eigenen inneren Erfahrungen,
die Fähigkeit zu riechen, zu schmecken, zu sehen, zu fühlen, zu hören...
Für jeden Menschen ist genau dies die „primäre" Realität
und der natürlichste Ausgangspunkt, das, was ihn umgibt, wahrzunehmen und
zu entdecken. Viele der wichtigen Dinge im Leben eines Menschen gehören
zu seinem Innenleben, z.B. Qualitäten wie Ehrlichkeit, Respekt, Gerechtigkeit,
Vertrauen, Entdeckergeist, ein Lächeln, Fürsorge für andere Menschen.
Diese inneren Qualitäten können nicht mit einem Lineal oder mit einer
Stoppuhr gemessen werden, und dennoch sind sie von fundamentaler Bedeutung für
unser Leben.
Menschliche Instrumente der Wissenschaft
Unsere Sinne, Gefühle, der Instinkt und der Verstand sind naturgegebene
Instrumente zum Wahrnehmen und Entdecken. Es sind menschliche Instrumente, mit
denen Leben direkt erforscht werden kann und die sich durch Erfahrungen entwickeln
können - vorausgesetzt, dass sie genutzt werden und ihnen das notwendige
Vertrauen entgegengebracht wird. Wissenschaft entstand ursprünglich durch
die Nutzung dieser menschlichen Instrumente. Später begann sich Wissenschaft
von diesen ursprünglichen Erfahrungen und den damit verbundenen Werthaltungen
zu entfremden und damit auch von den uns Menschen eigenen Fähigkeiten,
wie Sensibilität oder Beobachtungs- und Einschätzungsvermögen.
In einem immer härter werdenden Wettbewerb, den viele Leute als Fortschritt
bezeichnen, entsteht eine dem Menschen immer mehr entfremdete, rauhe, technologische
Welt, die die Qualitäten, die unser Menschsein ausmachen, vernichtet.
Die Wissenschaft hat Menschen viel Gutes und Großartiges gebracht. Die
Einblicke, die sie beispielsweise in die Wirkungsweisen des Universums, in dem
wir leben, gewonnen hat, sind faszinierend und tiefgründig. Doch zum Leben
sollte die natürliche Wissenschaft gehören, die durch unsere Ausstattung
als Menschen erst ermöglicht wird und die in jeder Hinsicht absolut atemberaubend
ist - angefangen bei den Mikro-Welten, den Millionen von Zellen, die in unserem
Körper arbeiten und ihn am Leben erhalten, bis hin zu der - wissenschaftlich
nicht reproduzierbaren - Technologie, die dazu nötig ist, Ihnen zu ermöglichen,
das Geschriebene auf dieser Seite zu lesen und zu verstehen.
Dies könnte uns zu einem Stückchen Demut führen, zu Sorgfalt
und Verantwortungsbewusstsein in wissenschaftlicher Herangehensweise und Methodik;
wobei wir uns von natürlichen Gesetzmäßigkeiten und natürlicher
Sensibilität leiten lassen sollten, die ein menschliches Wesen ausmachen;
und wir sollten die Gesetzmäßigkeiten dieses Planeten, auf dem wir
leben, mit in Betracht ziehen und ebenso die des Universums, in dem wir leben...
Es gibt nichts in der modernen Technik, was auch nur annähernd die Bandbreite
von Talenten und Fähigkeiten aufweist, wie wir sie selbst besitzen. Allzu
oft wird diese Tatsache als belanglos abgetan, genauso wie wir die außergewöhnliche
„Maschine", die unser Körper ist, oft vernachlässigen. Kein Messinstrument
kann Respekt oder Liebe messen, doch wir Menschen können es.
Es ist an der Zeit, dem Wesentlichen, das sich dem Grundverständnis unseres Menschseins erschließt, einen neuen Platz einzuräumen. Es braucht neue wissenschaftliche Augen, die das Beste der existierenden Wissenschaft und des technischen Fortschritts mit einer Wissenschaft verbinden, die die gesamte Bandbreite menschlicher Erfahrungen und Wahrnehmungen mit einbezieht.
Wir brauchen eine Wissenschaft, die auf Gefühl und Wissen gleichermaßen
achtet und die sich über die Gespaltenheit einer objektiven äußerlichen
und subjektiven innerlichen Wahrnehmung der Welt erheben kann. Wir brauchen
eine Wissenschaft, die natürlichen Entdeckergeist besitzt und den Sinn
und Zweck des Lebens und seine Funktionsweise erforscht, eine Wissenschaft,
die den Begriff Respekt verinnerlicht und die um die Würde und das Funktionieren
aller lebenden Wesen weiß.
Wir müssen damit beginnen, die Welt und vor allem uns selbst mit anderen
Augen zu betrachten. Wir brauchen neue Erkenntnisbereiche, zum Beispiel eine
Wissenschaft der Gefühlswelt, eine Wissenschaft, die Werte und Wertschätzung
erforscht, eine Wissenschaft, die die gesamte Bandbreite des menschlichen Instinktes
erforscht, und eine Wissenschaft des Denkens.
All diese Erkenntnisbereiche können entstehen aus dem natürlichen
wissenschaftlichen Instrumentarium, das wir bereits in uns haben. Diese neuen
Wissenschaften werden den tatsächlichen Beobachtungen der modernen Wissenschaft
voll Rechnung tragen, aber in sich selbst werden sie, in ihrem Aufbau, nicht
theoretisch sein. Sie werden aus der lebendigen Erfahrung und dem natürlichen
Training dieser menschlichen Anlagen erwachsen - und der Erfolg wird messbar
sein an der eigenen vollzogenen persönlichen Entwicklung und dem wirklich
gelebten Maß an Menschlichkeit. Eine große Herausforderung!
Dr. Chris Gordon, London
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