Stress besser bewältigen
von David Gommé
Stress* gilt heute, im 21. Jahrhundert, als die zweithäufigste
Todesursache. In diesem Artikel vermittelt David Gommé, Anti-Stress-Coach
für Führungskräfte, Erkenntnisse über die Entstehung von
Stressfaktoren in unserem Alltagsleben. Denn egal, wie und wo wir im Leben stehen:
Stress macht uns immer mehr zu schaffen.
* Anmerkung: In diesem Artikel ist ausschließlich von krankmachendem Stress
(Disstress) die Rede, nicht vom lebensnotwendigen, gesunderhaltenden Stress
(Eustress).
Während der letzten Jahre hatte ich oft Gelegenheit, mit führenden
Stressforschern zusammenzutreffen. Als einer von ihnen kürzlich davon hörte,
dass Stress heute nach den Herzerkrankungen als zweithäufigste Todesursache
angesehen wird, war sein Kommentar: "Wie viele Herzerkrankungen werden
wohl durch Stress verursacht?"
Wie wir dieses Syndrom, das wir als Stress bezeichnen, auch einordnen: es ist
ein Hauptfaktor in unserem Leben geworden. Menschen, die mit einer Flut von
Informationen und den immer schneller und umfangreicher werdenden Kommunikationsmedien
konfrontiert werden, macht Stress besonders zu schaffen. Und auch bei Kindern
werden inzwischen typische Stressfaktoren beobachtet, vom frühen Kindesalter
an.
Wie erkennt man, dass man unter Stress leidet?
Stress kann geringfügig und tolerierbar sein, er kann sich aber auch bis
zur Gesundheitsgefährdung und Unerträglichkeit steigern. Allen Stressformen
ist gemeinsam, dass sie immer mit dem Aufbau von Druck beginnen. Wer kennt das
nicht? Da gibt es Termin- und Zeitdruck, Leistungsdruck, Entscheidungsdruck,
den Druck zu lernen und zu verstehen, Anforderungen gerecht zu werden, und vieles
mehr.
Folgendes Beispiel verdeutlicht den Mechanismus: Jemand in finanziellen Engpässen
wird durch eine unerwartet hohe Rechnung zusätzlich unter Druck gesetzt.
Um das notwendige Geld aufzubringen, nimmt er einen Kredit auf. Um den Kredit
abbezahlen zu können, muss er zusätzlich arbeiten. Dies beschneidet
seine freie Zeit. Leistungs- und Zeitdruck werden größer, die Folge
sind schlaflose Nächte. Es beginnt ein Teufelskreis, der immer stärker
an den inneren Kräften zehrt.
An diesem Beispiel kann man sehen, wie wachsende Anforderungen von außen eine Person dazu nötigen, Anstrengungen zu unternehmen, die über das gewöhnliche Maß und die persönliche Toleranzgrenze hinausgehen.
Wenn diese überschritten wird, baut sich Stress auf. Dann wirkt jeder weitere
Druckfaktor wie ein zusätzlicher Tropfen auf das ohnehin schon überlaufende
Fass. So wird bei der Person in unserem Beispiel jede weitere finanzielle Belastung,
und sei sie noch so klein, zu unverhältnismäßigen Stressreaktionen
führen, z.B. zu nervösen Verspannungen, ärger oder ständiger
Gereiztheit. ärger und Gereiztheit sind dabei besonders gefährlich,
da diese Gefühlsausbrüche uns unserer emotionalen Energie berauben
und Erschöpfungszustände hervorrufen.
Neben Druck ist nervliche überreizung durch die überflutung mit Sinnesreizen
Hauptfaktor für die Stressentstehung. Wenn das Nervensystem dem Ansturm
der Reize und Informationen nicht gewachsen ist, kann dies zum sogenannten Burn-Out-Syndrom
führen.
Betrachten wir hier zur Veranschaulichung die Informationslawine, die jeden
Tag auf Führungskräfte in Unternehmen zurollt. In der Geschäftswelt
ist sie in den letzten 10 Jahren exponentiell um mehr als das Zehnfache angestiegen!
Geht ein Manager ein paar Tage in Urlaub, findet er danach 300 E-Mails vor.
Alle wollen beantwortet werden - und zwar schnell! Der langsame Postweg, wie
er noch vor 10 Jahren beschritten wurde, ist längst zur Datenschnellstraße
umgebaut worden, ohne Tempolimit. Hat unser Manager seine E-Mails beantwortet,
steht er vor der Aufgabe, die Produkte seiner Firma konkurrenzfähig zu
halten und neue Angebote zu entwickeln. Ist er nicht schnell genug, dann hat
der potenzielle Kunde schon längst das Internet durchforstet und bessere
Angebote bei der Konkurrenz gefunden. Und so muss unsere Führungskraft
auch ständig die neuesten Marktentwicklungen per Internet verfolgen und
diese Informationen ebenfalls verarbeiten, um seinen Job nicht zu verlieren.
Informationsflut überfällt die Hausfrau im Supermarkt, vorm Waschmittel-
oder Kosmetikaregal: Inhaltsstoffe, Anwendungshinweise, Preisvergleiche,...
dies ermüdet Millionen.
Vergleichbar ist dies mit Materialermüdungserscheinungen bei Flugzeugen,
wo Materialien hoher Belastung ausgesetzt sind. Irgendwann beginnen die Strukturen
der Werkstoffe aufzubrechen, und dies geschieht gewissermassen auch mit den
Millionen von Nervenzellen und -strukturen in unserem Gehirn und anderen Körperteilen.
Das ist dann der Zeitpunkt, wo wir über körperliche Störungen
zu klagen beginnen, erst über geringfügige, später über
chronische und schwerwiegende Störungen, die verschiedene Organe betreffen
können, zum Beispiel die Verdauungsorgane, das Herz-Kreislauf-System, die
Leber und vieles mehr. Die Liste ist lang und beinhaltet Störungen bis
in Zellbereiche des Körpers hinein.
Was können wir tun? Wie weit lässt sich Stress vermeiden? Kann man
Stress überhaupt vermeiden?
Am Anfang steht die Einsicht, dass Stress sich aufbaut, wenn der Mensch
nicht auf seine natürlichen Fähigkeiten zurückgreift.
Dies ist ein entscheidender Punkt im Umgang mit Stress und er erfordert nähere
Betrachtung. Was ist mit „natürlichen Fähigkeiten" des Menschen
gemeint? Sehen wir uns einmal die natürlichen Qualitäten an, die jeder
Mensch besitzt. Nehmen wir z.B. die natürliche Intelligenz. Hier kann man
verschiedene Arten unterscheiden, z.B. emotionale Intelligenz oder kognitive
Intelligenz. Da jeder Mensch einzigartig ist, jeder Mensch einen einzigartigen
Fingerabdruck und einzigartige geistige Muster hat, ist er mit einer besonderen,
nur ihm eigenen Kombination von Qualitäten ausgestattet. Der eine ist z.B.
eher von visionärer, ideenbeseelter Natur, der andere eher praktisch veranlagt
und tatendurstig - jeder ist auf seine Weise kreativ.
Wir müssen also damit beginnen, uns klarzumachen, dass Menschen über
ein Potenzial an inneren Qualitäten und damit Fähigkeiten verfügen,
das weitaus größer ist, als wir ahnen.
Wir müssen Wege finden, auch anderen zu zeigen, dass dieses Potenzial in
ihnen steckt. Dies tun wir, indem wir die bereits sichtbaren Qualitäten
in ihnen bestätigen und bestärken; darüber hinaus zeigen wir
ihnen, wie sie Zugang zu ihren noch nicht entdeckten und entwickelten Potenzialen
finden. Neue Trainingsmethoden, die zur Zeit entwickelt werden, beweisen, dass
dieser Ansatz mit erstaunlichem Erfolg in die Tat umgesetzt werden kann. Wenn
wir lernen, Stress durch das Entwickeln unserer natürlichen, vielseitigen
Fähigkeiten zu bewältigen, entspricht dies einer zehnspurigen Autobahn
als Alternative zu einer verstopften, einspurigen Landstraße. Können
wir Stress ganz vermeiden? Nun, die Antwort heißt nein, aber er kann auf
ein erträgliches Maß reduziert werden.
Wenn Sie Ihren Stress reduzieren wollen probieren Sie doch einmal Folgendes
aus: Denken Sie darüber nach, was Sie zur Zeit in Ihrem Leben vermissen,
z.B. Wärme, Geduld oder Pünktlichkeit. üben Sie sich dann darin
- eine Woche oder auch länger - diese Qualität ehrlich gegenüber
anderen Mitmenschen zu zeigen und auszudrücken. Verlassen Sie Ihre gewohnten
Wege, und Sie werden etwas mehr Einsicht darüber gewinnen, warum es auf
der Welt so viel Stress gibt.
David Gommé arbeitet als Unternehmensberater und Management-Trainer
und lebt in den Niederlanden.
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